Reifeentwicklung und Haltbarkeit

Zu den tiefgreifenden Veränderungen bei der Herstellung und den Konsumgewohnheiten von Wein gehört die zunehmende Dominanz von Weinen, die innerhalb weniger Monate nach der Ernte fertig ausgebaut und abgefüllt auf den Markt gelangen. Während noch bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts nahezu ausschließlich Wein erst nach einer längeren Ausbau- und Reifezeit angeboten wurde, verlagerte sich in den letzten Jahrzehnten die Nachfrage immer stärker in Richtung junger, frühreifer Weine. Dieser Trend, der vielen Erzeugerbetrieben allein aus Gründen der Kostenersparnis für längere Fass- und Flaschenlagerung durchaus willkommen war und wahrscheinlich nicht zuletzt auch aus diesem Grunde von ihnen forciert wurde, umfasst nicht nur einfache Weißweine (Landweine, Qualitätsweine ohne Prädikat), sondern immer häufiger auch Rotweine bestimmter Rebsorten und Herkünfte (typisches Beispiel: Beaujolais).

Mit dieser Tendenz ist indes kein umfassender Umbruch in der Weinerzeugung verbunden. Ein nicht geringer Teil der Weinerzeugung basiert immer noch auf traditionellen Verfahren, bei denen der Faktor Zeit eine wesentliche Rolle spielt. Zeit für das Reifen der Beeren, Zeit für Abstich und Ausbau im (Holz-)Fass, Zeit für die Flaschenreife – mit diesen Maximen ist die Gewinnung großer, renommierter Rotweine, edelsüßer Weißweine oder auch besonderer Jahrgangschampagner und –Sekte verbunden.

Prosaisch beschrieb Herbert de Bary den Lebenszyklus des reifenden und alternden Weines: „Wein ist etwas Lebendiges, das sich verwandelt. Daher lässt der Wein auch Vergleiche zu mit dem Leben. Nach seiner stürmisch verlaufenden Gärung und den jugendlichen Unarten wird er »still« und erlangt langsam seine Reife, in der er mehr oder weniger verweilt, je nachdem aus welchem »Holz« er stammt. Die Entwicklung schreitet fort, mehr und mehr gewinnt er an Blume, Wohlgeschmack, Bukettstoffen und Farbe; doch verliert er langsam an Körper, bis schließlich die Greisenkrankheit des Weines, das Firn- und Hochfarbigwerden, auftaucht und der Wein abstirbt.“

Zwei gegenläufige Trends bestimmen inzwischen die Produkt-Konzeption in der Weinerzeugung der Welt. Einerseits die Herstellung von „modernen“ Weinen, die - nur wenige Monate nach ihrer Ernte getrunken - ein bereits befriedigendes Geschmackserlebnis bieten. Und zum anderen „klassische“ Kreszenzen, die etliche Jahre benötigen, um ihre Eigenschaften optimal zur Geltung zu bringen.

Die pauschale Regel, nach der man Weißweine »jung«, Rotweine »gereift« trinkt, trägt mehr zur Konfusion als zur Klärung mancher Klischeevorstellung bei. Was ist bei Weißwein »jung«, was bedeutet bei Rotwein »gereift«? Und warum sollten manche Rotweine im frühen Reifestadium nicht ebenso reizvoll sein? Abgesehen davon, dass bestimmte Weißweine erst nach etlichen Jahren der Reifung auf der Flasche zur großartigen Entfaltung gelangen.

Beispiele für mögliche Haltbarkeit verschiedener Weinarten und -Sorten: 1) Trockene, leichte Weißweine; 2) Leichte bis mittelschwere Rotweine; 3) Prädikatsweine (Spätlesen, Auslesen) 4) Prädikatsweine (Beeren- und Trockenbeeren-Auslesen, Eiswein, speziell Riesling und guter Jahrgang); 5) Renommierte Rotweine (prädestiniert: Bordeaux, Burgund, Rhône, Piemont, Toskana, Rioja, Ribeira del Duero, extraktreiche Cabernet/Merlot); 6) Vintage Port, Sherry




Definitionen

Wenn über die Reifeentwicklung des Weines gesprochen wird, sollten zunächst einige Grundbegriffe definiert werden. Die Reifeentwicklung des Weines ist ein Vorgang, dem chemische Reaktionen zugrunde liegen. In der Fachterminologie wird er als »Alterung« bezeichnet. Demgegenüber versteht man unter Haltbarkeit die Phase, in der die Genussfähigkeit eines Weines erhalten bleibt. Die Zeitspanne der Haltbarkeit eines Weines kann von wenigen Monaten bis zu sehr vielen Jahren reichen. Nicht zuletzt in diesem breiten Spektrum findet die ganze Individualität des Erzeugnisses Wein ihren Ausdruck.

Die Reifeentwicklung ist von einer Vielzahl natürlicher Faktoren abhängig, vor allem von den Inhaltsstoffen, die sich in der Beere bilden und die je nach Erzeugungsverfahren dem Most bzw. Wein entzogen oder ihnen zugesetzt werden. Art und Größe der Lagergebinde, Temperatur und Luftfeuchtigkeit sowie andere physikalische Faktoren können auf Art und Dauer der Reifeentwicklung beträchtlich einwirken. Diese Einflüsse können forciert oder reduziert werden - je nachdem, ob man die Reifeentwicklung noch beschleunigen oder sie verlangsamen und damit ausdehnen möchte - im Sinne einer Verlängerung der Haltbarkeit.

Weinetiketten, Angebotslisten oder andere Werbeschriften der Weinlieferanten informieren kaum über diese natürlichen oder technischen Steuerungsfunktionen für die Reifeentwicklung. Erst in jüngster Zeit machen Winzer und Weinhändler Angaben über die (mögliche) Haltbarkeit eines Weines, ohne dass damit irgendwelche Garantien verbunden sind. Prognosen professioneller Weinverkoster über die Haltbarkeit bestimmter Weine beruhen auf deren individuellen, subjektiven Einschätzungen und besitzen den Charakter unverbindlicher Empfehlungen. Freilich sind prophetische Gaben, mit denen die voraussichtliche Alterungsentwicklung vorausgesagt werden können, nicht ohne Einschränkungen zu verstehen, da sie zum Beispiel stets perfekte Lagerungsmöglichkeiten der betreffenden Weine voraussetzen. Und wer sich nicht auf das Urteil von „Experten“ verlassen möchte, der wird in eigenen Weinproben versuchen, die im Wein (noch) verborgenen Reifepotentiale zu entdecken.


Kriterien

Als Ergänzung zu den eigenen Verkostungseindrücken sind theoretische Grundlagen hilfreich, aus denen sich Rückschlüsse auf Trinkreife und Haltbarkeit ergeben. Sie basieren auf einer Kombination unterschiedlicher Einflüsse (z.B. Inhaltsstoffe des Weines) und Faktoren (Weinbehandlung, Lagerung beim Erzeuger, beim Handel, beim Konsumenten).

In seinem berühmten Standardwerk „Technologie des Weines“ erläuterte Prof. Gerhard Troost die Voraussetzungen für die Erzeugung guter Weinqualität mit den Worten: „Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Pflege und der Ausbau der Weine ein ganzes System von Entwicklungsstufen, Einflüssen und daher auch Einzelmaßnahmen umfasst, die jede für sich charakteristisch zur Entwicklung des Weines beitragen. Es ist eine Art Mosaikarbeit, die wir zu leisten haben. Das erste Steinchen wird bei der Lese gesetzt und das letzte bei der Flaschenfüllung. Dem richtigen oder falschen Zusammensetzen entspricht das spätere Bild“.

Die wichtigsten Voraussetzungen für optimale Reifeentwicklung: Gesunde, vollreife Trauben, sorgfältiger Ausbau im Holzfass, Flaschenreife (Bildbeispiele aus Burgund


An erster Stelle stehen „natürliche“ Faktoren als Vorbedingung für die besondere Güte, Reife und Haltbarkeit des Weines. Dazu gehören:

- Rebsorten, die eine ausreichende Bildung von Zucker, Säuren und Extraktstoffen aufweisen in Verbindung mit dem
- Standort (Weinbergslage), der ein entsprechendes Ausreifen der Trauben ermöglicht und
- der von günstigen Witterungsbedingungen bestimmte Vegetationsverlauf einschließlich der Lese (Jahrgangsqualität). In der Summe ergeben diese Wachstumsfaktoren
- das reife, gesunde Lesegut

Diese natürlichen Eigenschaften werden ergänzt durch önotechnische Verfahren. Sofern sie einen nützlichen Effekt besitzen, werden sie in der folgenden Zusammenstellung mit einem Plus-Zeichen gekennzeichnet. Das Minus-Zeichen steht für die Haltbarkeit beeinträchtigende Faktoren. Je stärker positiv wirkende Faktoren in Most und Wein vorhanden sind, desto besser die Voraussetzungen für lange Haltbarkeit aufgrund der sich langsam entwickelnden Reife.

• Im Most:

+ Traubenzucker (Glucose) und Fruchtzucker (Fructose). Das Stadium der »Vollreife« der Beeren, die einen entsprechenden hohen Zuckeranteil im Traubenmost ermöglichen, der nach der Gärung zu einem entsprechend höheren Alkoholgehalt führt, wird bei den meisten Rebsorten bei 90° Öchsle erreicht. Durch Zugabe von Rohrzucker (= Invertzucker) vor der Vergärung kann der Alkoholgehalt erhöht werden. Üblicherweise beträgt der natürliche Zuckergehalt des Mostes 100 - 250 g/l, bei Most aus edelfaulen Beeren kann er bis zu 450 g/l betragen, der sich jedoch bei der Gärung nicht restlos in Alkohol umwandelt.

+ Weinsäure und Äpfelsäure. Ihr Gesamtgehalt (Gesamtsäure) und ihr Anteil sind ebenso wie der Gehalt an Glucose und Fructose vom jeweiligen Jahrgang, der Rebsorte, dem Standort, dem Ertrag und Lesezeitpunkt abhängig. Für die Qualität des Weißweines spielt die Gesamtsäure meist eine größere Rolle als für Rotweine. In qualitativ guten Jahrgängen beläuft sich die Weinsäure auf 4 - 10 g/l, in ungünstigen Jahrgängen kann sie mehr als 15 g/l betragen.

+ Gerbstoff (Önotannin). Bei Rotweinen fördern Tannine die Haltbarkeit. Bei längerer Lagerung setzen sie sich im Wein als Depot am Flaschenboden ab und beeinflussen damit weniger den Bittergeschmack des Weines. Weißweine mit höherem Gerbstoffgehalt werden geschmacklich als unharmonisch (gerbig) empfunden. Sie gelangen aus den Trauben, im geringeren Maße durch das Holz des Fasses, in den Wein. Je nach Rebsorte und Vinifikation kann ihr Anteil bis zu etwa 2 g/l betragen.

• Im Wein:

+ (zuckerfreier) Extrakt. Darunter versteht man diejenigen Stoffe, die beim Verdampfen oder bei der Destillation des Weines übrigbleiben unter Abzug der 1 g/l übersteigenden Menge Zucker. Dies sind vor allem Kohlenhydrate (unvergorener Zucker), höhere Alkohole (Glycerin), nichtflüchtige Säuren, Stickstoffverbindungen, Gerb- und Farbstoffe sowie Mineralstoffe. Der Extraktgehalt von Rotwein liegt in der Regel über dem von Weißweinen und beläuft sich auf 20-30 g/l.

Große Bedeutung für die Reifeentwicklung besitzen davon:

+ Weinsäure (Gehalt von 0,5-4 g/l) + Äpfelsäure (0-6 g/l) + Äthylalkohol (nach natürlicher Vergärung ohne Alkoholzusatz 50-110 g/l) + Glycerin (3,5-25 g/l) + Zucker (bis 150 g/l)

Neben den natürlichen Inhaltsstoffen spielen die Art des Weinausbaus, Konservierung und Stabilisierung sowie Lagerung und Abfüllung eine entscheidende Rolle. Als Beispiele dafür seien genannt:

• bei Weißweinen:

- Biologischer Säureabbau (Äpfelsäure wird zu Milchsäure und Kohlendioxyd abgebaut = malolaktische Gärung)

- Säureminderung (chemische Entsäuerung)

+ Erhaltung der natürlichen Kohlensäure, eventuell Auffrischen mit CO2 (Der Gehalt an CO2 liegt vor dem 1. Abstich des Weines meist um 2 g/l und nimmt in der Folge bei weiteren Abstichen sowie durch Lagerung und Reifung ab (bis auf 0,2 g/l).

• bei Rotweinen:

+ Abbeeren oder Entrappen (Abtrennen der Beeren von den Kämmen, Stielen oder Rappen), um den Gehalt an Polyphenolen (bestimmter bitter und herb schmeckender Gerbstoffe) zu reduzieren.

• Für Wein generell:

+ (Maßvolle) Erhöhung des Alkoholgehaltes durch Anreicherung (Trockenzuckerung)

+ Stabilisierung durch biologische, chemische und physikalische Möglichkeiten traditionell und gemäß gesetzlicher Vorschriften durch den Einsatz von schwefliger Säure (SO2) und - ggfs. zur Ergänzung - mit Ascorbinsäure (Vitamin C). Verzicht auf die Schwefelung ist nur bei konsequenter Vermeidung von Sauerstoffkontakt während des gesamten Weinausbaus und der Weinabfüllung, der Durchführung der Äpfel-Milchsäure-Gärung und rasch ablaufender Gärung von vorgeklärtem und geschöntem Most möglich.

+ Anzahl und Zeitpunkt des Abstichs (Abzug) des Weines, zum Beispiel für Klärung und Stabilisierung sowie Entfernung des Schönungstrubes.

+ Beseitigung von mikrobiologischen Krankheiten und Fehlern (Trübungen, Böckser oder andere im Geruch und Geschmack feststellbare negative Veränderungen).

+ Durchführung von Verschnitten

+ Art und Dauer der Lagerung, Gebindegrößen, Temperatur, Luftfeuchtigkeit

+ Zeitpunkt und Art der Flaschenabfüllung (erst wenn der Wein biologisch und chemisch stabil ist, wenn keine Nachgärung, Trübung oder Verfärbung des Weines mehr eintreten kann). Man kann den Wein vor seiner Füllung durch einen Wärmetest auf Haltbarkeit prüfen. (Er muss 24 Stunden bei 45° C ohne Trübung bleiben; zuckerreiche Weine: 3 Stunden bei etwa 60° C.) Vor allem Weine mit höherem Restzuckergehalt werden steril abgefüllt. Entscheidend ist die jeweilige Füllhöhe in der Flasche: Je kleiner die Luftkammer ist, desto geringer ist der Einfluss des Luftsauerstoffs auf die Reifeentwicklung des Weines.

+ Art des Flaschenverschlusses: Für Weine mit längerer Reife- und Lagerzeit werden Naturkorken verwendet, da sie über hohe Elastizität, lange Haltbarkeit, Geschmacksfreiheit (sofern nicht durch Korkkrankheit beeinflusst) sowie genügende Undurchlässigkeit von Gas und Flüssigkeit verfügt. Entscheidend sind Qualität und Länge der verwendeten Korken. Erkenntnisse über die Eignung von anderen Verschlüssen wie Kunststoff, Glas etc. beziehen sich meist nur auf kürzere Lagerzeiten und bedürfen noch weiterer Erforschung.

Im praktischen Management der Reifeprozesse spielen vor allem die Möglichkeiten eine Rolle, mit denen die Reife und die spätere qualitative Entfaltung des Weines beeinflusst und gesteuert werden. Der Grundsatz der Kellertechnik, nur Methoden anzuwenden, die den von Natur aus vorgegebenen Charakter eines Weines nicht verfälschen, sollte dabei beachtet werden. Weine mit geringerem Extraktgehalt, niedrigem Alkohol und wenig Säure können nicht durch die Kellertechnologie zu Kraftprotzen »aufgeblasen« werden. Im übrigen gilt aber auch, dass nach der Devise „so viel Natur wie möglich, so wenig Chemie wie nötig“ der Verzicht auf allzu viele chemische oder physikalische Beeinflussung Reife und Haltbarkeit begünstigt.


Alterung von Flaschenweinen

Die Vorgänge, die während einer langjährigen Flaschenreife eintreten, sind wissenschaftlich nicht vollends geklärt. Die Zusammensetzung des Weines verändert sich in zeitlich unterschiedlichen (und zuvor nicht immer genau zu bestimmenden) Phasen. Dies macht sich in Farbe, Geruch und Geschmack bemerkbar. Der »Abbau« eines Weines kann in der nicht geöffneten Flasche durch das Auftreten von Trübungen bemerkt werden. (Die Bildung von Weinkristallen bei Weißwein oder eines Gerbstoff-Depots bei Rotwein ist zwar auch ein Merkmal der Reifeentwicklung, jedoch nicht Indiz für Qualitätsminderung.)

Raritäten ab dem Jahrgang 1748 werden in der „Bibliotheca subterranea“ im Schloß Johannisberg aufbewahrt. Dunkel bernsteinfarben und von überraschender Stabilität präsentiere sich ein 1862er Schloß Johannisberger Riesling Goldlack aus der Schatzkammer

Erste Merkmale für das jeweilige Reifestadium ergeben sich durch farbliche Veränderungen: Weißweine tendieren zunehmend zu goldgelb, Rotweine zu rotbraun oder mahagoni. Die Farbvertiefung der »hochfarbigen« Weine basiert auf der Oxidation von Polyhydroxyphenolen zu Chinonen. Ihre Farbe ergibt sich jeweils aus den konjugierten Doppelbindungen. Dabei vollzieht sich eine Polymerisation der Polyhydroxyphenole zu größeren, dunkel gefärbten Stoffen. Diese Polyhydroxyphenole und ihre Oxidationsprodukte sind im Wein auch geschmacklich feststellbar.

Bedeutsam für den Alterungsprozess sind zudem Veresterungen und Umesterungen sowie die Bildung von Acetalen. Bei Alterung bestimmter Weine nimmt die Bildung von Diäthylbernsteinsäure zu. Hingegen nimmt der Gehalt an anderen wichtigen Inhaltsstoffen mit zunehmendem Alter ab: Süße und Säure, Önotannin und schweflige Säure werden geringer. Dies alles ist die Folge von Oxidationsprozessen, die vom Luftsauerstoff ausgelöst werden. Das im Wein verbliebene Eisen katalysiert diese Oxidationen; möglicherweise spielen auch Spuren von Kupfer und Zink dabei eine Rolle. Aus diesem Grunde ist das Ausfällen dieser Schwermetalle bei der Weinschönung wichtig, um somit den Prozess der Oxidation zu verzögern oder zu verhindern. Da sich Säuren und Zucker in der gleichen Hydroxylgruppe befinden wie Eisen, können sie zur komplexen Bindung des Eisens beitragen und somit das vorzeitige Abbauen eines Weines verhindern.

Säurereiche Weine sind vor mikrobiologischen Veränderungen besser geschützt als säurearme Weine. Je höher der Säuregehalt eines Weines, desto geringer in der Regel sein Bedarf an schwefliger Säure. Da die schweflige Säure jedoch die Bildung von - geschmacklich negativ bemerkbarem - Acetaldehyd, das durch die Oxidation aus Äthanol entsteht, verhindert, kann auf SO2 für die langfristige Stabilisierung von »Lagerweinen« nicht völlig verzichtet werden.


Firne Weine

Diese Vorgänge werden als »Firne-Bildung« umschrieben. Eher poetisch bezeichnet man sie als die »Alters-Patina« des Weines. Liebhaber alter Weine unterscheiden zwischen Firne und sogenannter Edelfirne, die am Anfang des in Geruch und Geschmack wahrnehmbaren Alterungsprozesses steht und sich meist auch schon durch eine leichte Farbveränderung ankündigt. Es kommt zu einer allmählichen Veränderung der Aroma- und Geschmacksstoffe, die in der Weinsprache als »leichter Alterston« charakterisiert wird.

Dahinter verbirgt sich bei den meisten edleren (Weiß-)Weinen die Herausbildung der »Überreife«, indem sich Anklänge an den Geschmack und Geruch von Brotkruste, gelegentlich auch an altes trockenes (Dörr-)Obst bilden. Mit dem Stadium der Firne schließlich welkt ein Wein dahin. Er büßt an Frische ein, verliert an Ausdruck im Hinblick auf seine ursprünglichen Geschmackskomponenten, wirkt oxidiert und sherryartig, in Geruch und Geschmack machen sich schließlich flüchtige Säuren, vor allem Essigsäure (Essigstich), bemerkbar.


Reifegerechte Auswahl

Weinsammler und Raritätenliebhaber werden nicht selten mit derartigen reichlich gealterten Weinen konfrontiert. Das muss nicht in jedem Fall enttäuschend sein. Denn zuweilen besitzen diese Weine ihren eigenen Reiz. Entweder präsentieren sie sich in der Nase mit überraschenden Aromanoten und versagen aber völlig im Geschmack, oder verfügen über nahezu keinen Geruch haben jedoch am Gaumen geschmacklich noch einiges zu bieten. Für Überraschungen sind derartige Tropfen also häufig gut.

Lange auf der Flasche gereifte Weine werden von Weintrinkern geschätzt, die - wie unsere Großväter - in den älteren zugleich auch die bekömmlicheren Weine sehen, da sie durch den Abbau bestimmter Inhaltsstoffe (Säure, Zucker, Alkohol, Tannin, Schwefel) gleichsam »abgeschliffen« wurden.

Diesen Weintrinkern der »alten Schule« steht die Gruppe der Konsumenten gegenüber, die betont frischen, spritzigen, jugendlichen, anregenden Weinen den Vorzug geben. Diesem Trend nach den früh fertigen, unkomplizierten Weinen können viele Produzenten heute auf perfekte Weise entsprechen. Durch den sogenannten Kurzausbau, der innerhalb von drei Monaten einen fertigen auf Flasche gefüllten Wein ermöglicht (und keineswegs nur die Rubrik des »Primeur« fällt) werden immer mehr Weine »bedarfsgerecht« erzeugt.

In den Ausbaumethoden im Eilverfahren bleibt oft keine Zeit mehr für eine den Charakter eines Weines formende Lagerzeit. Diesen einfachen Konsum- und Tischweinen fehlt es meist ohnehin an der notwendigen Substanz für ein gewisses Reifelager. Dieses Manko können sie auch durch eine spätere Nachreifung auf der Flasche kaum noch ausgleichen.

Zwischen beiden Extremen gibt es schließlich noch das Sortiment der Weine mit mittlerem Reifepotential des Sammlers, befinden sich doch unter ihnen die meisten Weine, die sich Erfahrungswerten und damit seriösen Prognosen entziehen. Ihre Haltbarkeit hängt ganz entscheidend von den kellertechnischen Maßnahmen ab, insbesondere von der jeweils verwendeten Stabilisierungstechnik.

Unter diesen Vorbehalten und Einschränkungen ist die folgende Übersicht zu verstehen. Sie kann lediglich in einem ziemlich groben Raster die Reifeentwicklungen verschiedener Weine aufzeigen. Über ihre mögliche Haltbarkeit gibt der jeweilige Erzeuger die individuell zutreffende Auskunft. Hier hängt es entscheidend von Können und Sorgfalt, aber auch von der Konzeption des Weinproduzenten ab, welche Lebensdauer seine Kreszenzen letztendlich besitzen (sollen).


Zusammenfassung

• Weine, die schnell altern:
- säurearme Weine (aus Rebsorten mit geringen Säurewerten, z. B. Müller-Thurgau, Gutedel (Chasselas), Silvaner (zum Teil), teilweise auch Grauburgunder (Ruländer) und Weißburgunder
- extraktarme Weine (aus kleinen Jahrgängen und/oder Lagen mit leichten Weinbergsböden)
- sehr früh abgefüllte und angebotene Weine, besonders aus sehr reifen, aber trockengeschädigten Jahrgängen
- kohlensäurearme Weine (schmecken jung getrunken bereits fad und ausdruckslos)

• Weine, die längere Zeit haltbar sind:
- säurereiche Weine (Riesling, Kerner), insbesondere bei Erreichen der Vollreife (Mostgewicht mit hoher Öchslezahl ab 90 Grad)
- extraktreiche Weine (aus großen Jahrgängen sowie Speziallesen wie Auslesen, Eiswein, besonders aus guten Lagen)
- kohlensäurereiche Weine (bleiben länger frisch)
- mit Alkohol verstärkte Weine wie Sherry, Port (Alkohol konserviert)

• äußere Einflüsse auf die Haltbarkeit
- Positiv (verlängerte Haltbarkeit):
- ruhige Lagerung bei gleichbleibender Temperatur (10°-14° C) und nicht zu geringer Luftfeuchtigkeit (Austrocknen des Korkens)
- kleiner Luftspiegel in der Flasche (minimaler Einfluss von Luftsauerstoff, der zur Oxidation führt)
- langer, fest im Flaschenhals sitzender Korken
- Negativ (verkürzt die Haltbarkeit):
- zu warme Aufbewahrung (der Wein altert in der halben Zeit bei 10° C über der normalen Trinktemperatur (= etwa 22° C)
- zu großer Luftraum in der Flasche (fördert die rasche Oxidation)
- kurzer Korken von schlechtem Sitz (Folge: Austrocknen des Korkens, Schwund)